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Ehrenamtliche für Integration von Flüchtlingen gesucht

Das Programm "NesT. Neustart im Team" will schutzbedürftige geflüchtete Familien in der Pfalz integrieren. Dafür werden ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren gesucht – Veranstaltung für Interessierte.

Speyer (lk). In vielen Regionen Deutschlands läuft seit 2018 das Programm „NesT. Neustart im Team“. Es geht um die humanitäre Aufnahme und Integration von geflüchteten Familien mit Schutzstatus, bei der Staat und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Die Evangelische Kirche der Pfalz und ihr Diakonisches Werk wollen in der Pfalz zusätzlich zehn Personen, die sicher und legal nach Deutschland kommen, beim Start helfen. So hat es die Landessynode 2019 beschlossen.

Christoph Picker, Leiter der Evangelischen Akademie der Pfalz, hat diese Idee damals eingebracht. Zusammen mit Helmut Guggemos, dem Beauftragten für Migration und Integration der Landeskirche, erklärt er im Interview, warum das Programm wichtig ist und ehrenamtliche Unterstützung braucht. Interessierte können sich am 26. November bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie über Details austauschen (siehe Infos unten).

Wie funktioniert das Programm NesT in der Pfalz?

Christoph Picker: „NesT“ ist ein sogenanntes Community-Sponsorship-Programm, also ein staatliches Flüchtlingsprogramm, das zivilgesellschaftlich unterstützt wird, zum Beispiel von uns als Landeskirche. Es ist bundesweit unter maßgeblicher Beteiligung der Diakonie Deutschland entstanden. Auch in der Pfalz ist das Diakonische Werk Vermittler und Kooperationspartner.

Helmut Guggemos: Die Diakonie Pfalz unterstützt bei der Umsetzung, beispielsweise mit den Fachberatungsstellen in Pfalz und Saarpfalz. Daneben suchen wir Ehrenamtliche, die sich als Mentorin oder Mentor für ein Jahr bereiterklären, die Geflüchteten bei Wohnungssuche, beim Sprachkurs, der Kinderbetreuung oder beim Zugang zum Arbeitsmarkt zu unterstützen. Aus der ganzen Pfalz sollen sich fünf Ehrenamtliche in einer Mentorengruppe zusammenschließen. Zwei von ihnen sind Hauptmentorin oder -mentor, die an regelmäßigen Schulungen teilnehmen.

Denken Sie dabei an Menschen, die sich schon in Kirchengemeinden engagieren?

Guggemos: Es kann eine Verbindung zur Kirchengemeinde vor Ort geben, aber auch jemand vom Fußballverein, aus der Belegschaft eines Unternehmens oder einer Institution kann Mentorin oder Mentor sein.

Picker: Das Umfeld von Kirchengemeinden könnte gute Voraussetzungen bieten, um eine Mentorengruppe anzudocken. Viele aus dem kirchlichen Dunstkreis haben Erfahrungen mit Flüchtlingsarbeit, weil es ein christliches Uranliegen ist. Außerdem können Kirchengemeinden wichtige Orte der Inklusion sein: Im Kirchenchor oder in der evangelischen Kita gibt es Begegnung und Möglichkeiten, sich auszutauschen.

Sollte man als Mentorin oder Mentor schon Erfahrung in Flüchtlingsarbeit haben?

Guggemos: Die größere Chance sehe ich darin, dass wir neue Menschen finden. Diejenigen, die seit 2015 in der Flüchtlingsarbeit unterstützen, sind häufig ausgebrannt. NesT bietet die Chance, neue Menschen zu gewinnen.

Worum müssen sich die Ehrenamtlichen als erstes kümmern?

Guggemos: Um alles gleichzeitig. Mentorin oder Mentor bringen sämtliche Kontakte ein, beispielsweise zu Kindergarten, Schule, Behörden, Freizeitangeboten, aber auch zu therapeutischen und medizinischen Angeboten für traumatisierte oder körperlich gebrechliche Menschen. Es kommt darauf an, wo die zugewanderten Personen und Familien stehen, was sie mitbringen. Der Arbeitsmarkt ist dann interessant, wenn ausreichende Sprachkenntnisse – mittlerweile ist das Niveau B1 Voraussetzung – vorhanden sind. Wer frisch aus Äthiopien oder dem Libanon kommt, braucht als erstes einen Sprachkurs. Sie haben eine hohe Motivation, sich zu integrieren. Denn nach der Genfer Flüchtlingskonvention und mit dem Resettlement-Programm haben sie die Sicherheit, drei Jahre und länger in Deutschland ihr neues Zuhause aufbauen zu können. Ihr Status ist geklärt.

Picker: Das Thema Wohnungssuche ist ein kritisches Thema für die Ehrenamtlichen. Es müsste schon vor Ankunft der Menschen geregelt sein. In vielen Regionen ist es schwierig geworden, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Es ist eine Herausforderung für die Mentorengruppe. Zumindest finanziell werden die Ehrenamtlichen nicht belastet, die Landeskirche übernimmt die Wohnungsmieten. (siehe Infokasten)

Guggemos: Als eine der ersten Aufgaben könnte anstehen, die Familien im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen abzuholen. Danach geht es darum, Möbel zu organisieren, bei Behördengängen zu vermitteln und zu begleiten. Man sollte gut priorisieren können und Geduld haben, denn gerade traumatisierte Menschen brauchen Zeit, anzukommen.

Haben Sie Bedenken, genügend Ehrenamtliche für NesT zu finden?

Picker: Ehrlich gesagt, ja. Die Mentorinnen und Mentoren haben eine hohe Verpflichtung und Verantwortung für dieses ehrenamtliche Engagement. Sie verpflichten sich ein Jahr lang dazu. Erfahrungen zeigen, dass projektbezogenes Engagement leichter angenommen wird. Die Ehrenamtlichen haben einen Rahmen, in dem sie sich bewegen können.

Guggemos: Sie werden durch die 14 Fachberatungsstellen vom Diakonie-Migrationsdienst begleitet und mit Schulungen unterstützt, zum Beispiel zum Thema Nähe und Distanz im Ehrenamt.

Picker: Man muss nach einem Jahr schauen, wie man emotional mit dem Engagement abschließen kann. Supervision ist angedacht. Auf der anderen Seite: Ohne zivilgesellschaftliches Engagement geht es nicht. Bürgerinnen und Bürger müssen mit dem Staat gemeinsam überlegen, wie wir mit Flüchtlingsaufnahme umgehen. Als Christ spüre ich die Verantwortung für die globale Not, auch wenn wir sie nicht überall lindern können.

Das heißt, Kirche ist in der Zivilgesellschaft gefragt: Welche Rolle spielen Christinnen und Christen dabei?

Picker: Ich bin der festen Überzeugung, dass uns das Unrecht als Christen nicht egal sein kann. Wir können uns in Europa nicht emotional abschotten! Ich habe Kontakte nach Italien und kenne die Situation des Sterbens im Mittelmeer. Die Fischer erzählen, wie sie nach Seenotfällen tagelang nur Leichen in ihren Netzen haben. Und auch die Geflüchteten, die es schaffen, sind traumatisiert und leben nach der Ankunft unter menschenfeindlichen Bedingungen. Was Menschen auf sich nehmen, ist – emotional – echt erschütternd. Ich bin der festen politischen Überzeugung, dass wir das ändern und dafür sorgen müssen, dass Menschen, die dringend Schutz brauchen, legal und sicher nach Europa kommen. Dafür ist das NesT-Programm ein ganz kleines und sehr sehr sehr bescheidenes Programm – vielleicht ist es sogar armselig. Trotzdem haben wir gesagt, wir machen das! Trotzdem wollen wir dafür werben, weil das ein kleines Signal ist, dass die Menschen legale und sichere Zugangswege brauchen.

Guggemos: NesT ist ein Leuchtturmprojekt. Wir setzen damit als pfälzische Landeskirche ein Zeichen. Wir schauen nicht weg! Wir machen in dieser Gesellschaft wie bei der Seenotrettung auf die himmelschreiende Unrechtssysteme aufmerksam. Und zum Thema armselig: Wir können in der Bundesrepublik bis zu 220.000 Menschen pro Jahr über Resettlement-Programme sicher und legal aufnehmen. Doch 2020 wurden nur 122.000 Asylanträge gestellt: Das ist politisches Versagen!

Picker: Auch die Seenotrettung im Mittelmehr ist ein wichtiges Signal. Aber das Schiff holt die Leute nicht über sichere und legale Wege nach Europa, sondern rettet sie vor dem Sterben. Der NesT-Ansatz ist ein anderer: Wir wollen schutzbedürftigen Leute aus ihren aktuellen Zufluchtsländern bei uns aufnehmen und ihnen ein neues dauerhaftes Zuhause geben – das ist die Aufgabe.

Hintergrund „NesT. Neustart im Team“:

Das Pilotprojekt ist ein bundesweites staatlich-gesellschaftliches Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Demnach sollen mit Hilfe von NesT bis zu 500 Flüchtlinge, die nicht in den Ländern bleiben können, in die sie zuerst geflohen sind, sicher nach Deutschland einreisen können. Die Geflüchteten erhalten eine Aufenthaltserlaubnis von zunächst drei Jahren – einschließlich des Anspruches auf Integrationsmaßnahmen, Zugang zum Arbeitsmarkt sowie Sozialleistungen. Ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren sollen die Menschen unterstützen. Die Auswahl der Flüchtlinge erfolgt nach den Schutzkriterien des Weltflüchtlingsrats (UNHCR). Bislang werden 84 Einreisende im Programm betreut, bis Ende 2021 sollen es 120 Personen sein. Die Landeskirche will bis zu zehn Flüchtlingen bei der Umsiedelung helfen und übernimmt für zwei Jahre die Monatsmiete.

Hintergrund Resettlement von Geflüchteten:

NesT ist eine Form des Resettlements. Das heißt, dass Flüchtlinge in einem sicheren Land auf Dauer neuangesiedelt werden und ein neues Leben aufbauen. Sie durchlaufen kein Asylverfahren. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR hat Resettlement weltweit angeregt und organisiert die Auswahl der Schutzbedürftigen. Deutschland nimmt seit 2013 daran teil. Statt der vereinbarten 5.500 im Jahr 2020 hat die Bundesrepublik bisher nur wenige hundert Menschen darüber aufgenommen. Weltweit müssten 1,4 Millionen Menschen dringend umgesiedelt werden. Die Europäische Union hat 2020 nur 8.314 Flüchtlinge umgesiedelt, weltweit waren es 15.000 Menschen – ein Rekordtief.

Veranstaltungshinweis:

Am Freitag, 26. November findet von 18 bis 21.30 Uhr im Butenschoen-Haus Landau ein Workshop unter dem Titel „Herausforderung Flüchtlingsaufnahme – Was leistet das Bundesprogramm ‚Neustart im Team (NesT)‘?“ statt. Organisiert wird die Veranstaltung von der Evangelischen Akademie Pfalz. Unter anderem berichtet ein Referent der Evangelischen Kirche in Westfalen über erste Erfahrungen mit NesT. Anmeldung und weitere Infos unter Herausforderung Flüchtlingsaufnahme: Evangelische Akademie der Pfalz (eapfalz.de)

Migrationsberatung | Migrationsfachdienst – Diakonie Pfalz

Interview: Katja Edelmann