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Pressemeldungen

Corona: Viele Menschen in finanziellen Schwierigkeiten

Die Schuldnerberatungsstellen des Diakonischen Werks Pfalz erwarten einen deutlichen Anstieg Hilfesuchender im Herbst und Winter.

Speyer (dwp). Knapp vier Millionen Deutsche beziehen ALG II, das besagt der statistische Durchschnittswert von Januar bis August dieses Jahres. Und es könnten noch mehr werden, befürchtet das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche der Pfalz. Denn die Corona-Krise bringt viele Menschen in finanzielle Schwierigkeiten. Das bekommen die Schuldnerberatungsstellen bereits jetzt zu spüren und rechnen mit einem deutlichen Anstieg Hilfesuchender im Herbst und Winter. Ein Ende der Pandemie ist nämlich nicht abzusehen. Die Folgen treffen ebenso Menschen, die bereits Hartz IV beziehen.

„Daran kann auch die Erhöhung der Hartz IV-Sätze zum Januar 2021 nichts ändern“, sagt Tanja Gambino, Leiterin des Referats Offene Sozialarbeit im Diakonischen Werk. Dann erhalten Alleinstehenden monatlich 446 Euro, Ehegatten je Person 401 Euro. Kinder bis fünf Jahre bekommen 283 Euro, Kinder von sechs bis 13 Jahren 309 Euro und Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren 373 Euro, Erwachsenen unter 25, die noch nicht allein leben, stehen 357 Euro zu. „Die Erhöhung ist keine wirkliche, denn die Referenzgruppen zur Ermittlung der Regelleistungen sind nicht stimmig. Das liegt daran, dass in der statistischen Vergleichsgruppe auch Haushalte berücksichtigt werden, die Anspruch auf Sozialleistungen haben oder hätten.“ Haushalte, die zustehende Leistungen nicht in Anspruch nehmen, die sogenannten „verdeckt Armen“, müssten ausgeklammert werden, um realistische Einkommen zu errechnen. „Denn sie drücken die Armutsgrenze, an der sich das ALG II orientiert, nach unten und verzerren so das Bild“.

Folglich reiche das Geld auch ohne Extrabelastungen kaum aus, geschweige denn, um Rücklagen zu bilden. So seien etwa die Stromkosten ein ewiges Ärgernis. „Sie müssten bedarfsgerecht abgerechnet werden und nicht im Regelsatz enthalten sein, denn der ermittelte Bedarf ist zu niedrig.“ Das werde sich in diesem Jahr besonders stark bemerkbar machen, da die Menschen während des Corona bedingten Lockdowns viel zuhause waren und mehr Strom verbraucht haben. Dazu komme, dass sich viele mit einem Minijob noch etwas dazu verdienen, um zum Beispiel eine größere Wohnung zu finanzieren oder einen Notgroschen zurücklegen zu können. „Durch Corona gingen zahlreiche Jobs verloren. Das reißt ein empfindliches Loch in die Haushaltskasse, zumal auch viele Tafeln geschlossen hatten und dadurch mehr Geld in den Kauf von Lebensmitteln investiert werden musste.“ In den Beratungsstellen rechne man mit einem Anstieg von Menschen, die aufgrund von Mietschulden die Wohnung verlieren und schlimmstenfalls obdachlos werden. Eine neue und vor allem bezahlbare Bleibe zu finden, werde nämlich immer schwieriger. „Im Fall von Wohnungslosigkeit bekommen wir Anfragen, ob wir Postadressen bieten. Denn ohne eine Adresse lässt sich weder ein ALG II-Antrag stellen, noch ein Job finden“, weiß Tanja Gambino.

Brenzlig werde es auch, wenn Neuanschaffungen anstünden, um defekte Haushaltsgeräte zu ersetzen oder reparieren zu lassen. „Ging vor der Einführung von Arbeitslosengeld II ein Herd kaputt, konnte man einen gesonderten Antrag stellen, um einen pauschalen Satz für die Reparatur bzw. einen neuen Herd zu bekommen oder einen Gutschein fürs Sozialkaufhaus. Heute soll der Betrag über Jahre hinweg angespart werden. Das ist völlig unrealistisch.“

Auch in puncto Mobiltät sei der Satz zu gering bemessen. Man habe zwar eingesehen, dass ein Auto kein Luxus sei, sondern Sinn mache, um etwa Bewerbungstermine wahrnehmen, Einkaufe zu tätigen und sozial teilhaben zu können. Denn gerade in ländlichen Gegenden sei der Nahverkehr teils nicht genügend ausgebaut und oftmals zu teuer, da der Ruf nach Sozialtickets vielerorts ungehört bleibe. Allerdings sei es mit den Hartz IV-Bezügen nicht machbar, für eine Kfz-Reparatur aufzukommen.

„Ein großes Thema ist ebenfalls der digitale Bereich. Ein Internetzugang, entsprechende digitale Endgeräte und Drucker gehören heute eigentlich in jeden Haushalt. Aber das ist ein Riesenproblem und scheitert manchmal schon am Internetanschluss, weil es eventuell einen Schufa-Eintrag gibt oder die Vertragskosten zu hoch sind.“ Wie wichtig eine IT-Ausstattung ist, habe sich gezeigt als die Corona-Krise im Frühjahr Homeschooling nötig gemacht hat. In Familien, die sich die technischen Voraussetzungen nicht leisten können, bedeute das für die Kinder oftmals eine massive Benachteiligung bezüglich ihrer Lern-, Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. „Es ist höchste Zeit, dass die Politik in dieser Hinsicht aktiv wird und für Chancengleichheit sorgt. Denn das Thema Digitalisierung wird uns weiter begleiten und hat obendrein etwas mit politischer Bildung zu tun.“

Grundsätzlich sei eine drastischere Anhebung der Regelsätze nötig, um die Situation Betroffener nicht weiter zu verschärfen und ihnen ein gewisses Maß an sozialer Teilhabe zu gewähren. „Mit den derzeitigen Sätzen ist es nahezu unmöglich, mit der Familie mal ins Kino, Museum oder zu einem Konzert zu gehen“, verweist Gambino auf eine weitere Komponente. Gerade in Zeiten von Corona seien die finanziellen Mittel knapper denn je. Allerdings habe die Pandemie trotz all ihrer Folgen auch eine positive Seite. „Die Stigmatisierung von Hartz IV-Beziehern ist ein Stück weit zurückgegangen. Denn so mancher merkt, wie schnell es auch ohne eigenes Verschulden finanziell bergab gehen kann.“ Das erfahren die 21 Sozial- und Lebensberatungsstellen des Diakonischen Werks Pfalz, die ihre Klient*innen nun wieder in persönlicher Beratung, aber in entzerrten Terminen und unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen, unterstützen.